Der Ruf der Enquete-Kommission

Sebastian Blumenthal

Sebastian Blumenthal

Wer seit Montag einmal bei Twitter die zahlreichen Tweets unter dem Hashtag #eidg verfolgt oder einen der vielen Blog Beiträge zur Sitzung am Montag gelesen hat, der könnte den Eindruck gewinnen, die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ sei ein hoffnungslos zerstrittener Haufen aus unbelehrbaren Internetausdruckern und Nerds, die beim besten Willen auf keinen gemeinsamen Nenner kommen – doch dieser Eindruck täuscht. Die Arbeit der Enquete-Kommission ist besser als ihr Ruf! Entgegen mancher Darstellung von Beobachtern und Mitgliedern der Enquete-Kommission gibt es sehr wohl in weiten Teilen einen breiten Konsens. Natürlich ist die Darstellung dieser Einigkeit nicht unbedingt im Interesse derer, die gerne die Enquete-Kommission dazu instrumentalisieren wollen, die Koalitionsfraktionen mit Blick auf tagespolitische Debatten an den Pranger zu stellen.

Wer sich jedoch von hysterischen Kommentaren wie „Schmierenkomödie“ nicht beeindrucken lässt und sich die Berichte der Projektgruppen „Medienkompetenz“ und „Urheberrecht“ anschaut, wird sehr schnell feststellen, dass die Kommission durchaus zahlreiche qualitativ hochwertige Beschlüsse gefasst hat. Und auch das Arbeitsklima innerhalb der beiden Projektgruppen war ein anderes, als nun manche Legendenbildung glauben machen möchte. Für die Projektgruppe „Medienkompetenz“ war bereits früh klar, dass es hier einen breiten Konsens und nur wenige strittige Details geben würde. Ganz im Gegensatz zur Projektgruppe „Urheberrecht“, die bei ihrer Konstituierung von einigen schon als das größte anzunehmende Konfliktfeld gesehen wurde, ­ aber es kam anders. Zwar wurde in den Sitzungen hart um Formulierungen gerungen und leidenschaftlich diskutiert, aber zumeist wurde nach intensiven Diskussionen eine gemeinsame Formulierung gefunden. Wie auch sonst hätte ein Abschlussbericht mit einem Umfang von 118 Seiten entstehen sollen?

Die Projektgruppe hat sich in ihren gemeinschaftlichen Handlungsempfehlungen darauf verständigt, dass es auch in einer digitalen Gesellschaft keinen Grund gibt, das Konzept des geistigen Eigentums und die damit einhergehenden Ausschließlichkeitsrechte der Urheber in Frage zu stellen. Gerade uns Liberalen war das Bekenntnis zum Schutz des geistigen Eigentums in den Beratungen ein besonderes Anliegen. In einer digitalen Welt benötigt das geistige Eigentum noch viel mehr als im analogen Zeitalter die Akzeptanz der Nutzer – diese ist die Grundvoraussetzung für alle Überlegungen eines zeitgemäßen Urheberrechts. Das individuelle, kreative Schaffen ist der Ausgangspunkt der Vermarktung von Werken – die digitalen Medien ermöglichen anschließend eine dynamische Verbreitung und Reflexion von Nutzern. Aufklärungsmaßnahmen zur Förderung des Verständnisses und des Respektes, sowie die Vermittlung der notwendigen Kompetenzen bereits in der Schule wurden in der Projektgruppe im Rahmen der gemeinsamen Handlungsempfehlungen als notwendiger Schritt angesehen. Auch über die Notwendigkeit zur Stärkung lizenzfreier und flexibel lizensierter Inhalte, wie Open-Source-Software und Creative-Commons-Lizenzen, bestand bereits frühzeitig Einigkeit innerhalb der Projektgruppe, so dass sich auch dieser Punkt in den gemeinsamen Handlungsempfehlungen wiederfindet. Entscheidend dabei ist, dass der Werkschaffende die freie Entscheidung über Art und Umfang der Weiterverbreitung haben muss. Und auch die Forderung von FDP und Union nach Einführung einer zentralen Datenbank, um den Einzelerwerb von Rechten zu erleichtern, wo kein gebündelter Rechteerwerb möglich ist, findet sich in den Handlungsempfehlungen wieder.

Doch über die Abstimmung einer Vielzahl von Spiegelstrichen aus den Minderheitenvoten der Oppositionsfraktionen in der Sitzung am Montag, droht dieses Ergebnis nahezu in Vergessenheit zu geraten. Der erzwungene Abstimmungsmarathon zu Spiegelstrichen hat dann auch dazu geführt, dass zum Teil widersprüchliche Handlungsempfehlungen beschlossen wurden (z.B. wird sowohl die Stärkung der individuellen Vergütungsmodelle anstatt pauschaler/ kollektiver Modelle als auch die Stärkung der kollektiven Vergütungsmodelle empfohlen). Ein Missstand unter dem letztendlich die gesamte Arbeit der Projektgruppe leidet. Es ist bedauerlich, dass die Oppositionsfraktionen offensichtlich nicht Willens waren, ihre Handlungsempfehlungen auf einige wenige wesentliche Punkte zu konzentrieren, über die dann – auch angesichts knapp bemessener Zeit – noch intensiv hätte diskutiert werden können. Es ist verständlich, dass ein jeder seine Punkte in dem Bericht verwirklicht sehen will, dennoch wäre eine Konzentration auf zentrale Punkte für die Qualität des Gesamtberichtes förderlich gewesen. So haben die Koalitionsfraktionen am Montag ergänzend zu den bereits vorliegenden Handlungsempfehlungen nur noch zwei Ersetzungsanträge eingebracht, deren Überzeugungskraft sich selbst einige Vertreter der Oppositionsfraktionen nicht entziehen konnten. Und so findet sich nun in dem Bericht auf Antrag der Koalition die Empfehlung wieder, dass Internetsperren kein geeignetes Mittel zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen im Internet darstellen.

Dass eine intensive und hochwertige Debatte über vereinzelte noch strittige Punkte in der Enquete funktionieren kann und die Qualität des Berichtes insgesamt stärkt, hat in der vergangenen Woche die Diskussion zum Bericht der Projektgruppe „Medienkompetenz“ gezeigt. Ein Grund hierfür war sicherlich auch, dass die Fraktionen und die Sachverständigen sich auf eine überschaubare Anzahl von alternativen Handlungsempfehlungen konzentriert hatten. Anders als bei den Debatten an diesem Montag stand die Suche nach dem besten Kompromiss im Vordergrund und nicht der Wettbewerb, wer sich selbst am besten in Szene setzt. Der Unterschied, ob eine Sitzungen mit Kamera begleitet und live übertragen wird und sich somit einige Mitstreiter besonders „motiviert“ fühlen oder eine Sitzung ohne Kamerabegleitung stattfindet, ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert.

Wir alle sollten aus der Debatte der Projektgruppe „Medienkompetenz“ zwei Dinge lernen: Zum einen wurde klar, dass eine Enquete von gemeinsamen Kompromissen und Entscheidungen getragen wird – gegenseitige Vorwürfe und öffentliche Empörungen bringen die Kommission ebenso wenig weiter wie stures Beharren auf Positionen. Und es wurde deutlich, dass sich alle Beteiligten aufeinander zubewegen müssen, um zielführende Kompromisse zu ermöglichen.

Dann lässt sich auch ein respektables Ergebnis erzielen. Denn alle, die am Bericht der Projektgruppe „Medienkompetenz“ mitgewirkt haben, können auf das Ergebnis stolz sein. Es ist gelungen, einen sehr ausgeglichenen, positiven und in die Zukunft gerichteten Bericht zu verfassen, der das Ziel eines eigenständigen und aufgeklärten Nutzers in den Mittelpunkt stellt. Wir wollen die Nutzer nicht einteilen in staatliche definierte Kategorien von „guten Nutzern“ und „schlechten „Nutzern“ und wir wollen auch nicht den „Otto-Normal-Nutzer“ definieren, sondern jeden Menschen dazu befähigen das Internet und die neuen Medien für ihn bestmöglich, sicher und kompetent zu nutzen. Ziel einer erfolgreichen Vermittlung von Medienkompetenz ist es, sowohl technische Fertigkeiten und die Befähigung zum Selbsterlernen auszubilden, als auch das kritische Hinterfragen von Inhalten und dem kompetenten Umgang mit einer Fülle von Informationen zu vermitteln, aber auch das Risikobewusstsein der Nutzer zu schärfen. Medienkompetenz sollte heute genauso selbstverständlich eine Kulturtechnik sein, wie Schreiben und Lesen auch. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, alle Ebenen und Fachbereiche der Vermittlung von Medienkompetenz besser miteinander zu verzahnen. Medienkompetenz ist eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe, die sich auch nicht auf eine gesellschaftliche Gruppe oder eine Altersgruppe beschränkt. Bei der Vermittlung von Medienkompetenz soll nicht die Objektförderung sondern die Subjektförderung im Mittelpunkt stehen. Dies war auch für uns Liberale ein zentraler Punkt, wir wollen nicht eine Institution oder Strukturen fördern, sondern den Menschen. Daher ist es auch folgerichtig, langfristig nicht Schulen besser mit Laptops auszustatten, sondern jedem Schüler einen Laptop an die Hand zu geben.
Die Enquete-Kommission hat mit ihrem Bericht zur Medienkompetenz einen sehr guten Überblick über den aktuellen Stand zur Vermittlung und Verbreitung von Medienkompetenz in Deutschland erarbeitet und die wichtigsten Handlungsfelder und Lösungsvorschläge aufgezeigt. Einigkeit bestand jedoch auch darin, dass es einer intensiveren Forschungsförderung auf diesem Feld bedarf, um noch ungeklärte grundlegende Fragen, beispielsweise zum Jugendschutz, beantworten zu können.

Man muss also leider feststellen, dass der Ruf der Enquete und ihre wirkliche Leistung auseinanderfallen. Bei der medialen Begleitung durch einige Akteure ist geradezu offensichtlich, dass es den Betreffenden darum geht, ihr Urteil bestätigt zu sehen, welches schon vor Beginn der Enquete fest stand. Es fällt auf, dass die vielen bisherigen inhaltlich tragenden Sitzungen weniger mediales Echo finden, als die Momente, in denen es Disput gibt – dann kommen wir auch in die Tagesschau.

Als liberales Mitglied der Enquete-Kommission bin ich alles in allem zufrieden mit den Ergebnissen,auch wenn wir den Prozess sicherlich noch stark optimieren können. Und zwar alle gemeinsam, ohne gegenseitige Vorwürfe, sondern ruhig und mit der Bereitschaft, alle einen Schritt auf einander zuzugehen – und nicht nur mit der größtmöglichen medialen Aufmerksamkeit im Blick.

Euer

Sebastian Blumenthal

Dieser Post wurde auch im Fraktionsblog „93Liberale“ veröffentlicht.

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